Wahrnehmungsstrukturen und das Empfinden von Ästhetik


Einleitung:
Wahrnehmungsstrukturen, entstanden durch Erfahrungen in unserem Leben, sind mit entscheidend ob Potenziale verwirklicht oder behindert werden.  Sie finden sich bei allen Menschen. Sie dienen uns, die Welt einzuordnen und uns darüber Sicherheit im Chaos des Lebens zu vermitteln.
Rigide Strukturen, entstanden durch traumatisierende Erfahrungen, lassen dem Menschen nur wenig Spielraum, die Welt offen wahrzunehmen. Alles wird unter die Herrschaft unserer eingeschränkten Wahrnehmung, nämlich dessen was wir kennen, subsummiert. Das was uns (zu) fremd erscheint wird entweder verzerrt oder gar nicht wahrgenommen. Je rigider die eigenen Wahrnehmungsstrukturen sind, umso geringer ist die Möglichkeit der freien Entfaltung unserer Potenziale.
Strukturen können sich somit unterstützend aber auch zerstörend auswirken und prägen damit die Entwicklung in die eine oder andere Richtung.
Bildbetrachtung:
– Jedes Bild bietet uns eine vorgegebene Struktur an. Das Bild und damit die Struktur des Bildes spricht uns an, lässt uns unberührt oder ruft Ablehnung hervor. Dies hängt (s.o.) mit den eigenen Wahrnehmungsmustern zusammen und mit dem, ob das Bild den Menschen auf einer „tieferen“ und damit zumeist vor- oder unbewussten Ebene anspricht.
– Lässt es den Betrachter unberührt, sieht er entweder etwas, das er (zu) gut kennt (oder glaubt zu kennen) und ihn langweilt oder eine ihm (zu) fremde und ferne Struktur, die ihn in seinen Wahrnehmungsmustern nicht anspricht. (und er sich um eine Anmutung auch nicht bemühen möchte)
– Fühlt der Mensch sich von dem Bild positiv angesprochen, lösen die Strukturen des Bildes (bestenfalls) Ähnliches aus, wie ein kluges Buch, bei dem der Leser den Eindruck hat, „genau das habe ich auch schon gedacht und gefühlt“. Oder das Bild wird als etwas relativ Neues empfunden, das die vorhandene Struktur nicht in Frage stellt, sondern ergänzt. Hier drückt jemand dies auf seine Art und Weise aus und ich fühle mich in mir bestätigt, bzw. angeregt meine Strukturen zu erweitern. Dadurch werden labile, nicht selten vorbewusste Strukturen ins Bewusstsein gehoben und dort etabliert. Dies wiederum hat eine Strukturergänzung der Wahrnehmung zur Folge. Anders wie beim Buch geschieht dies beim Bild vorwiegend auf der emotionalen Ebene und wird möglicherweise erst in einem zweiten Schritt auf der kognitiven Ebene begründet (der zweite Schritt ist für die Veränderung letztendlich nicht zwingend notwendig). Wie beim Buch führt dies bei einem „guten“ Bild dazu, dass dieses den Horizont des Betrachters erweitert, oder anders ausgedrückt, die Wahrnehmungsmuster verändert und damit diese flexibler werden lässt. – Bei konservativen Menschen, mit eher einengenden (engen?) Wahrnehmungsmustern, führen positiv empfundene Bilder bestenfalls zu einer geringen Veränderung ihrer Wahrnehmungsstrukturen. Häufig werden diese Bilder ausschließlich von der Psyche dieser Menschen „benutzt“, sich in den gewohnten Strukturen bestätigt zu fühlen. Andersartiges wird schnell als zu fremd und damit ablehnenswert empfunden. – Menschen, mit weniger rigiden Wahrnehmungsmustern, fühlen sich dagegen häufig von Neuem für sie Unbekanntem und damit Ungewohntem angezogen. Sie können sich eher auf das Neue einlassen, ohne sich davon in Frage gestellt zu fühlen.
– Besonders interessant und für die Entwicklung von Wahrnehmungsstrukturen häufig wichtig, sind Bilder, die in dem Betrachter ablehnende Gefühle hervorrufen. – Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es sich um ein qualitativ „wertiges Bild“ handelt. „Schlecht gemachte Bilder“, rufen nachvollziehbar berechtigt negative Gefühle hervor. – Die Ablehnung beruht auf der „Unruhe“, die ein Bild im Menschen hervorruft, wenn er dadurch unbewusst mit seinen (zu) engen Strukturen konfrontiert wird. Ablehnung beinhaltet damit die Möglichkeit die eigenen Strukturen zu erkennen und dies zu nutzen, diese in Frage zu stellen. Gelingt dies, erweitert sich unser Horizont schlaglichtartig. Plötzlich gelingt es Vieles in anderem Licht zu sehen und damit unsere Einengungen erkennen zu können. Wobei hierbei dies weniger ein kognitiver als emotionaler Prozess ist. Im Unterschied zu positiv anmutenden Bildern bedingt dies ein Bewusstsein darüber und eine gewisse Anstrengung sich den fremden Strukturen auszusetzen. Unsere Wahrnehmungsstrukturen haben immer die Tendenz sich auf die alte und gewohnte Struktur zu rekonstruieren. Aus diesem Grund bedarf es dieser Anstrengung, sich dem Gefühl des Unwohlseins, bei der Betrachtung eines negativ empfundenen Bildes, auszusetzen.
Sich mit Bildern und anderem sinnlich Wahrnehmbarem auseinanderzusetzen hat zumeist zu Folge, dass sich unser Wahrnehmungshorizont und die damit zusammenhängenden Wahrnehmungsstrukturen verändern, ja, erweitern. (häufig ohne dass uns dies bewusst wird)
Damit ist ein positiv verlaufende Entwicklung untrennbar mit der Erweiterung unserer Wahrnehmungsmuster verknüpft.
Was macht ein Bild für viele Menschen wertvoll und damit erfolgreich?
– Die Kunst jedweder Art kann dazu dienen, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, den Wahrnehmungshorizont von uns Menschen erweitern. Und zwar unabhängig davon ob wir das Bild (oder andere Kunst) allgemein als schön und wertvoll empfinden oder nicht.
Da jedes (wertige Kunstwerk) seine/n Betrachter findet, für den es nach der obigen Definition hilfreich ist, dreht es sich nun um die Frage was macht ein Kunstwerk, unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, für möglichst viele Rezipienten wertvoll? (nicht im materiellen Sinne, wobei dies hin und wieder Hand in Hand geht.)
Ausgehend von unseren Betrachtungen, sollte ein Bild sowohl das Gewohnte und damit leicht Zugängliche als auch das Neue und Ungewohnte in sich vereinen. – Übrigens, Neigungen, die viele Künstler in sich wahrnehmen und immer wieder aufs Neue versuchen, diese divergierenden Tendenzen in ihre Kunstwerke einzubringen. – Wertvoll für viele wird ein Kunstwerk, das die bekannten Wahrnehmungsmuster aufgreift und diese auf subtile Art und Weise gleichzeitig boykottiert, bzw. in Frage stellt. Dadurch kommt es zu einer zumeist unbewussten Erweiterung seiner Wahrnehmungsmuster. Andere Kunstwerke hingegen, scheinen vollkommen aus dem bisher Gewohnten heraus zu fallen und trotzdem von der Mehrzahl der Betrachter als etwas Besonderes angesehen zu werden. Hier liegt ein Sprung in eine neue Dimension vor, den zwar der Betrachter beim Rezipieren des Kunstwerks vollführt, der sich nur dann nachhaltig auf die eigene Wahrnehmung auswirkt, wenn der Betrachter sich mehrfach diesem oder ähnlichen Reizen aussetzt. Damit muss der Sprung in die neue Dimension, schon vor der Betrachtung des Kunstwerks, selbst ein, zumeist vorbewusster oder unbewusster Teil von uns sein, dass dieser sich nachhaltig auf den Menschen auswirken kann.